Diese Produktion des IKARON-THEATERs ist wie alle vorherigen über einen längeren Zeitraum entstanden. Angesichts der Zunahme von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, die ihrerseits Symptome für das Aufbrechen vieler Probleme nach der Wende sind, erachtete die Gruppe es für notwendig, sich mit theatralischen Mitteln mit dem Thema „Gewalt“ auseinanderzusetzen. Dabei wollten wir untersuchen, was Gewalt ist, wie sie entsteht und sich auswirkt, wie sich Angst und Gewalt bedingen usw. Und es war unsere Absicht, diese Auseinandersetzung mit Jugendlichen zusammen zu führen, da diese am meisten gefährdet waren. Aus der Arbeit mit Jugendlichen entstand 1993 das Projekt „Sommer Nacht Traum - Begegenung und Spiel“. Was zum Teufel geht da eigentlich vor? Shakespeares Antworten geben keine Gewißheiten - sie stellen Fragen. G. Tabori Nach der ersten Erfahrung mit Shakespeares „Sturm“ 1992 entschied sich das IKARON-THEATER bewußt dafür, die Auseinandersetzung mit Shakespeare als einen Lernprozeß fortzusetzen. Dabei wollten wir uns radikaler auf Shakespeares Fragen einlassen, tiefer in den Stoff eindringen und noch produktiver die eigenen Erfahrungen damit in Beziehung setzen. Eine Konsequenz der bisherigen Erfahrung war die Fragmentierung, d.h. die Konzentration auf eine bestimmte Ebene des Stückes, die somit gründlicher erkundet werden konnte. Beim „Sommernachtstraum“ fiel die Wahl auf die Ebene der jungen Liebenden. Dabei interessierten uns die folgenden Fragen: Was ist Liebe? Wie gestalten sich heutige Beziehungen zwischen Mann und Frau? Welche wünschen wir uns? Welchen Einfluß, welche Bedeutung hat Liebe in unserem heutigen Leben? Welche Abhängigkeit besteht zwischen Lust und Liebe, Macht und Liebe, Geld und Liebe, zwischen Lust, Aggression und Gewalt? Wie ist das Verhältnis von erlebter Liebe und unseren Träumen von Liebe? Die vier jungen Leute im Stück spielen in einem abgeschlossenen Raum solche Fragen durch. Dabei steht am Anfang ihre Flucht; die Überwindung aller Hindernisse, die der Verwirklichung der Liebe entgegenstehen. Dieser Schritt ins Unbekannte beinhaltet eine Utopie: den Wunsch, sich jenseits von Gesetzen und Grenzen zu erkennen und zu verwirklichen. Der Raum, in dem diese Utopie verwirklicht werden soll, ist der Wald. Dieser Ort wird zu einem Ort der Begegnungen, der Selbstaufgabe, Verluste und Träume. In einem hermetischen Raum kommen im Menschen angelegte Möglichkeiten, brutale Triebe und versteckte Lüste ans Tageslicht. Die „Feigenbätter der Lüge“ werden heruntergerissen und damit wird der Bedrohung, die von Shakespeare ausgeht, Rechnung getragen. Auch der Aufführungsort war bewußt gewählt und entsprach unserer besonderen Sicht des Stücks. Durch einen Ort wie das Tacheles in der Oranienburger Straße (die die Straße der käuflichen Liebe ist), bekamen unsere Fragen an das Stück eine weitere Dimension.Das Tacheles ist wie der Wald im Stück ein Ort der Flucht aus der Gesellschaft, der zugleich aber auch Kräfte freisetzt, der die Chance bietet, ungewöhnliche Erfahrungen zu machen, sich bis zum Extrem auszuprobieren, auch Fehler zu machen und eigene Träume zu leben. Mit dieser Arbeit begann erneut eine intensivere Zusammenarbeit zwischen IKARON-THEATER und dem Kunsthaus Tacheles: unsere Gruppe integrierte sich in das Haus, übernahm verschiedene Arbeitsaufgaben und zog andererseits Mitarbeiter des Tacheles zur eigenen Produktion heran. Diese Zusammenarbeit ermöglichte es, unter großen Anstrengungen im Hof des Tacheles eine neue Spielstätte zu schaffen. So entstand ein Spiel-Raum, der die Phantasie und Kreativität der Mitwirkenden anregte und freisetzte und der auch bei den Zuschauern alle Sinne ansprach.